
Es war einmal ein kleiner Drache, eigentlich noch ein Drachenkind. Das Drachenkind war einsam und allein, von allen verlassen. Sogar von den eigenen Eltern. Genauer gesagt keiner weiß ob die Eltern ihr Kind verlassen hatten oder was mit ihnen geschah. Sie sind jedenfalls verschwunden. Der kleine Drache lebte vor 100 Jahren in einer kleinen Stadt im Elsass. Damals war das noch keine Stadt, sondern ein kleiner Ort mit ein paar Häusern, die heute unter Denkmalschutz stehen. Unser kleiner Freund wusste nicht, was für Fähigkeiten er besaß.
Er musste sich mit Futtersuche durch das Leben schlagen, ab und zu brach er in ein Haus ein um eine fertige Mahlzeit zu stibitzen. Die Hausbewohner wunderten sich jedes Mal, wenn eine Mahlzeit fehlte. Das führte meistens zum Streit innerhalb der Familie oder unter Nachbarn. Jeder hat jeden für den Diebstahl verantwortlich gemacht. Das ging sogar soweit, dass sie nichts mehr miteinander redeten und sich misstrauten. Dabei brauchten sie einander. Sonst war doch keiner für die kleine Gemeinde da.
Eines Tages kam ein Fremder in den kleinen Ort. Er spürte, dass hier etwas nicht stimmte. Aber ihm gefiel es hier und er wollte sich etwas umschauen und umhören. Er ging in das einzige Gasthaus im Ort und bestellte sich etwas zu trinken und fragte den Wirt warum hier so eine getrübte Stimmung sei. Der Wirt antwortete, dass in regelmäßigen Abständen Mahlzeiten gestohlen würden und keiner weiß wer es war und jeder verdächtigte jeden. Das gefiel dem Fremden und er ließ sich hier nieder und zum Ortsvorsteher wählen da er den Menschen versprach sich um das Problem zu kümmern und die Lebensumstände der Gemeinde zu verbessern.
Der Fremde erschloss Bauland und verkaufte dies zu günstigen Preisen an die Bewohner und alle die sich in der Gemeinde niederlassen wollten. Als der Ort allmählich wuchs war ihm klar, dass etwas fehlte. Der Ortsvorsteher begann also mit der Planung eines Einkaufszentrums, um den Bewohnern die Möglichkeit zu geben ein eigenes Geschäft aufzubauen. Er selbst wollte auch einen kleinen Handel betreiben. Es sollte aber kein großes Zentrum werden, sondern eine Einkaufspassage mit vielen kleinen Geschäften, wie Boutiquen, Briefmarkenhandel, Post, Bank, Juwelier, einem Waffengeschäft und einem Lebensmittelladen. Natürlich durfte ein Gastronom und ein Weinhandel nicht fehlen.
Der Bau begann inmitten des Ortes. Und wie es der Zufall will direkt über der Höhle unseres kleinen Drachens. Es wurde also mit Spaten und Schaufel eine Grube ausgehoben. Damit wurde der Stein ins Rollen gebracht. Es gelang jede Menge Dreck, Stein und Sand in die Höhle unseres Drachenkindes. Daraufhin verschluckte sich der kleine Drache so sehr, dass er fürchterlich husten musste. Mit dem Husten geschah es. Er hustete Feuer. Der kleine Drache war so erschrocken, dass er Angst vor sich selbst bekam. Er dachte irgendetwas stimmt nicht mit ihm und ging in sein Bett und träumte schlecht. An der Oberfläche hatten die Menschen nichts von alledem bemerkt.
Der Bau ging indessen weiter und machte Fortschritte. Die Höhle unseres kleinen Drachens wurde immer kleiner. Entweder musste unser kleiner Freund etwas gegen den Bau unternehmen oder er musste sich eine neue Höhle suchen. Er überlegte ob er sich an der Oberfläche zeigen und seine neu entdeckte Fähigkeit einsetzen sollte. Damit würde er aber seine Existenz preisgeben. Und er hatte Angst, dass sie ihn jagen würden. Er blieb in seinem Versteck und so geschah es, dass die Einkaufspassage zügig fertiggestellt wurde und der Drache das kleine Stück Höhle das ihm blieb erst einmal weiterhin bewohnte. Ihm war klar, dass er wachsen und das Stückchen Höhle nicht mehr ausreichen würde.
Nachts wagte er es an der Vergrößerung seiner Höhle zu bauen und dabei kam ihm eine Idee. In dem Einkaufszentrum gab es eine Weinhandlung, ein Gastronom und einen Lebensmittelladen. Das wäre ja ein Paradies für ihn. Dann müsste er nicht mehr in Häuser einbrechen. Unser Drache vergrößerte also unterhalb des Einkaufszentrums seine Höhle mit Hilfe seiner Fähigkeit des Feuerspeiens. Nun musste er nur noch versuchen Aufgänge zu den jeweiligen Geschäften zu schaufeln, um in das Innere zu gelangen. Der Durchgang musste natürlich so unauffällig wie möglich sein. Es durfte auch kein Mensch beim Einkaufen in das Loch fallen.
Der kleine Drache tüftelte so lange bis es ihm gelang in allen Böden der betreffenden Geschäfte eine Art Falltüren einzubauen, die tagsüber fest verschlossen waren und er aber nachts von seiner Höhle nach oben kam. Was für ein Schlaraffenland. Er konnte sich nach Herzenslust bedienen. Für die Menschen hatte sich die Situation nicht geändert. Sie zankten und stritten weiter und beschuldigten sich weiterhin gegenseitig des Diebstahls. Unser kleiner Drache war inzwischen nicht mehr klein. Er wuchs und wuchs und wurde immer kräftiger. So kräftig, dass er sich eines Nachts eine neue Höhle suchen musste. Und der Spuk in dem kleinen Ort, den sich keiner erklären konnte, nahm ein Ende.